Mir ist langweilig! [Klartext! #06]
Kinder werden schon früh mit Leistungsdruck konfrontiert
Ich sitze auf meinem Sofa und will etwas zum Tag des Kindes schreiben. Wie wichtig es ist, dass Kinder keine Erwachsene sind, warum von Kindern erwartet wird sich die Hand zu geben, wenn sie sich streiten, Erwachsene tun dies aber nicht. Darüber, dass auf Kinder ein enormer Druck liegt, Leistungsdruck, einen den sie schon als Kleinkinder merken. „Ja bist du schon in der Schule? Kannst du schon deinen Namen schreiben?“ Druck, den die Welt den Eltern vermittelt, Kindergarten, guter Schulabschluss bis zur Ausbildung, möglichst aber auch Studieren. Druck, den Kinder sich irgendwann selber auflegen, verfolgt von Nachhilfe, Sprachförderung und der dritten oder vierten Fremdsprache.
Ich arbeite als Erzieherin in einer Grundschule und sehe jeden Tag die Erwartungen und Herausforderungen, die Kinder haben. Wie sie sich an Strukturen, Verhaltensweisen, Umgangsformen und Matheformeln gewöhnen müssen. Doch wenn ein Kind vor mir steht und sagt: „Mir ist langweilig.“, dann weiß ich wieder worum es geht.
Verplante Kindheit lässt kaum Raum für Pausen
Langeweile! Was ist Langeweile? Wodurch entsteht sie? Sie ist der Zeitraum zwischen zwei Dingen, die im Vorfeld strukturiert und geplant wurden. Also die „Pause“ auf dem Stundenplan zwischen Hausaufgaben und Fußballtraining, zwischen Mittagessen und Flötenunterricht, zwischen Seepferdchen machen und Zimmer aufräumen. Die Zeit, in der Kinder „NICHTS“ zu tun haben. Eine Blase, ein quasi luftleerer Raum, eben Langeweile.
Kinder sind es nicht mehr gewohnt, sich diesen Raum zu füllen, immer ist irgendetwas los. Doch was passiert dann? Dann, wenn ich dem Kind einfach nichts anbiete? – Und ja, spontan kann ich IMMER mindestens 300 Spiele vorschlagen!
Zuerst setzt sich das Kind neben mich und erwartet, dass es etwas bekommt, einen Anstoß, eine Richtung, in die es gehen kann. Aber wenn ich „Zeit“ habe, dann lasse ich es zu. Dann lasse ich das Kind seine „Langeweile“ ausleben.
Ein Appell für ein wenig mehr Fantasieraum
Irgendwann kann ich es sehen, sehe wie das Kind sich umschaut, andere beobachtet oder in den Himmel schaut, anfängt zu singen oder Muster in den Sand zu malen. Wie es sich vielleicht Anderen beim Spielen anschließt oder sein eigenes Spiel macht. Wie es aufsteht und tanzt oder Radschlagen versucht, Steine sammelt oder eine Eisdiele eröffnet. Wie aus einer Langeweile etwas Kreatives, etwas Neues, etwas Spontanes wird. Aus Kartons werden Flugzeuge, Ritterburgen oder ein Supermarkt. Aus einem Seil wird nicht nur eine Pferdeleine, sondern eine Balancierseil einer Primaballerina und aus einer Handvoll Laub ein Marienkäferhotel.
Wenn so etwas entsteht, etwas so Eigenes, etwas so unglaublich Kreatives und Emotionales, dann wünsche ich mir mehr davon. Mehr Zeit für das Kind, um sich langweilen zu dürfen.
Und ein bisschen wünsche ich mir das auch für mich.
Ein schönen Kindertag!