Mehr „Pfui“ als „Hui“: große Unterschiede bei der Barrierefreiheit von Haltestellen in den kreisangehörigen Kommunen – gesetzliche Vorgaben werden nicht eingehalten
Kreis Wesel. Alle Haltestellen im ÖPNV müssten seit dem 1. Januar 2022 vollständig barrierefrei sein. So sieht es das § 8 Abs. 3 des Personenbeförderungsgesetzes vor. Zuständig für den Ausbau sind die Kommunen. Die Kreisverwaltung beantwortete nun eine Anfrage der SPD-Fraktion zum Stand des barrierefreien Ausbaus von ÖPNV-Haltestellen im gesamten Kreisgebiet.
Die Ergebnisse sind mehr als ernüchternd. Fast ein Jahr nach dem gesetzlichen Fristablauf erfüllt nur ein Drittel der Haltestellen im Kreis barrierefreie Standards. Spitzenreiter sind Dinslaken und Neukirchen-Vluyn, in denen lediglich 75% der Haltestellen barrierefrei ausgebaut sind. Die rote Laterne leuchtet in Hamminkeln und Schermbeck, Sonsbeck und Alpen. Dort sind weniger als zehn Prozent der Haltestellen barrierefrei.
An mangelnden Fördermitteln könne es nicht liegen, meint Dr. Doris Beer, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Kreistagsfraktion. Der VRR übernähme im Rahmen eines Sonderprogramms bis 2024 sogar 100% der Umbaukosten. „Um den Ausbau barrierefreier Haltestellen im Kreis vorwärtszubringen, haben wir kürzlich die sozialdemokratischen Verkehrs- und Planungsfachleute aus den Ratsfraktionen, Ortsvereinen und Stadtverbänden zu einem Austausch in unsere Mitmachzentrale nach Kamp-Lintfort eingeladen“, so Dr. Beer weiter.
Dort berichtete Bernhard Krebs, der ehrenamtliche Behindertenbeauftragte der Stadt Kamp-Lintfort, darüber, welche Anforderungen für eine barrierefreie Haltestelle gelten und wie eine Kommune den Ausbau systematisch und effizient angehen kann. So wurden in Kamp-Lintfort zunächst die Haltestellen an Senioreneinrichtungen, Arztpraxen und Krankenhäusern renoviert. Der Umbau der Haltestellen werde mit jährlichen Ratsbeschlüssen kontinuierlich vorangebracht.
Die Teilnehmenden der Info-Veranstaltung nahmen eine Aufstellung der in Frage kommenden Förderprogramme mit. Dr. Beer: „Ich hoffe, diese Informationen unterstützen die kommunalen Gremien, damit der barrierefreie Ausbau der Haltestellen im gesamten Kreis Wesel beschleunigt wird.“
Hintergrund:
§ 8 Abs. 3 Personenbeförderungsgesetz (PBefG) gibt vor, dass die Nahverkehrspläne die Belange der in ihrer Mobilität oder Sensorik eingeschränkten Menschen mit dem Ziel zu berücksichtigen haben, für die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs bis zum 01.01.2022 eine vollständige Barrierefreiheit zu erreichen. Ausnahmen sind zulässig, sofern diese im jeweiligen Nahverkehrsplan (NVP) definiert werden, das heißt, wenn sie konkret benannt und begründet werden.