Hünxer SPD diskutiert über „GroKo“ – „Tun, was man sagt und sagen, was man tut“
Es gab kein eindeutiges Stimmungsbild an diesem Abend bei den Hünxer Sozialdemokraten. Als der Vorsitzende Jan Scholte-Reh zum Schluss geheim abstimmen ließ, war das Ergebnis denkbar knapp: JA sagten 44,8 Prozent, NEIN sagten 41,4 Prozent und 13,8 Prozent zeigten sich unentschlossen.
Zuvor begrüßte Scholte-Reh die erschienen Genossen: „Es ist nicht einfach und es wird keinen geben, der voller Begeisterung oder Ablehnung zur ‚GroKo‘ steht. Ich weiß, einige haben sich bereits entschieden, andere sind noch unentschlossen und erhoffen sich weitere Argumente für die eigene Entscheidung“.
Ehe es in die Diskussion ging, stellte der Bildungsbeauftragte Benedikt Lechtenberg in einem Rundumschlag die Inhalte des Koalitionsvertrags vor. Dabei zeigte er die Verhandlungserfolge der SPD in den Bereichen Arbeit, Gesundheit, Europa, Rente, Bildung, Steuern und Migration auf. Zu jedem der Punkte fasste er die Bewertungen der Bundestagsfraktion, des linken Parteiflügels (DL21) und der Jusos zusammen. „Uns ist es wichtig, ergebnisoffen über Pro und Contra zu reden. Der Vertrag hat gute Inhalte, aber er ist nicht perfekt und es gibt auch einiges zu kritisieren“, so Lechtenberg. Diese Vorgehensweise wurde zugleich honoriert: „Diese differenzierte Darstellung des Vertrags zeugt von Respekt vor den Mitgliedern, denn jeder kann für sich selbst entscheiden“, bedankte sich ein Teilnehmer.
Seit der Veröffentlichung des Vertrags konnten die OV-Mitglieder außerdem im Vorfeld an einer internen Online-Umfrage teilnehmen. Die Ergebnisse stellte Scholte-Reh ebenfalls in der Versammlung vor. 52 der 138 Mitglieder haben daran teilgenommen. Dabei sagten 25 Prozent JA, 63,46 Prozent votierten mit NEIN und 11,54 zeigten sich noch unentschlossen. „Das ist natürlich nicht repräsentativ, zeigt aber einen groben Trend“, so Scholte-Reh.
Lob und Kritik am Koalitionsvertrag
In der anschließenden Diskussion bekam der Koalitionsvertrag viel Lob. So sollen 46 Milliarden Euro in den verschiedenen Handlungsfeldern investiert werden. „Die Jamaika-Parteien konnte sich nur auf knapp 15 Milliarden Euro einigen. Was die SPD für überfällige Investitionen in unserem Land rausgehauen hat, ist ein Erfolg für uns alle. Wir können viel für die Menschen erreichen“, meint ein Mitglied. Der soziale Arbeitsmarkt, die Grundrente, die BAFÖG-Erhöhung, Breitbandausbau, die Wiedereinführung der Parität in der GKV und Europa-Politik wurden hervorgehoben.
„Die 46 Milliarden berücksichtigen keine wirtschaftlichen Schwankungen und die geplanten Erleichterungen bei den Steuern und Abgaben sind noch nicht mitgerechnet“, entgegnet ein anderer. Kritisiert werde, dass der Vertrag nicht ehrgeizig sei; man drehe nur an Stellschrauben und betreibe Reparatur. Die SPD verlöre ihren Anspruch als linke Volkspartei, wenn sie sich selbst nur als „Korrektiv zu den Konservativen“ sehe, statt Lösungen auf die großen Herausforderungen (Digitalisierung, Globalisierung, Migration, Klimaschutz, Sicherung des Sozialsystems) zu präsentieren. Die Große Koalition drohe eine Koalition der kleinsten Schritte zu werden. „Sie gleicht dem Scheinriesen Tur-Tur, der immer kleiner wird, je näher er kommt“, quittiert ein Mitglied.
Über Neuwahlen und Glaubwürdigkeit
Der Schwerpunkt der Diskussion war aber grundsätzlicher Natur. Viele zeigten sich besorgt über den künftigen Kurs. Die Einen begründeten ihre Zustimmung mit der Sorge vor Neuwahlen und einer ungewissen Zukunft. Auch müsse man das Angebot des französischen Präsidenten Macron jetzt nutzen, damit das große Projekt „Europa“ nicht scheitere, sondern nach den Krisen der letzten Jahre endlich angepackt werde. Dafür brauche es die SPD in der Regierung. Andere wollen die AfD nicht als Oppositionsführerin sehen und machen sich Sorgen um die Glaubwürdigkeit der SPD. „Das Hin und Her der letzten Wochen und Monate hat uns sehr geschadet. Die Große Koalition wurde im September abgewählt. Wenn wir jetzt eine erneute ‚GroKo‘ trotz vorheriger Ablehnung machen, bekommen wir 2021 die Quittung“, begründet ein Mitglied seine Ablehnung. Zudem müssten die beiden Volksparteien einander unterscheiden und polarisieren. Nur so könnten sie die linken und rechten Ränder in der Mitte der Gesellschaft integrieren. Die letzte ‚GroKo‘ habe die AfD in den Bundestag gebracht, die nächste werde sie noch weiter stärken.
„Tun, was man sagt und sagen, was man tut“
Einig waren sich alle darin, dass die Entscheidung nicht einfach sei. Es müsse in jedem Fall eine Erneuerung der SPD geben – strukturell, programmatisch und personell. Die SPD solle zudem weniger auf Umfragen blicken, sondern müsse selbstbewusst ihre Politik und ihre Ziele in der Öffentlichkeit verkaufen, auch wenn das Konflikte mit dem Koalitionspartner bedeute. Man müsse an Profil und Glaubwürdigkeit zurückgewinnen. „Tun, was man sagt und sagen, was man tut“, fasst es Scholte-Reh zusammen.
Zum Schluss appelliert der 30-jährige Scholte-Reh an alle: „Der heutige Abend zeigt, dass es gute Gründe Dafür und Dagegen gibt. Bitte entscheidet nach Eurem Gewissen. Angst ist dabei kein guter Ratgeber. Im Moment werden viele Szenarien gemalt, aber keiner von uns hat eine Glaskugel. Egal, welches Ergebnis am 4. März herauskommt, ich möchte, dass wir alle am Tag danach die Ärmel hochkrempeln und die Erneuerung anpacken.“ Die anwesenden Befürworter und Gegner der GroKo nicken zustimmend.