„Die wahre SPD“?! – und was ist mit dem Rest?! [Klartext! #03]
Jüngst starteten einige altgediente SPD-Politiker die Initiative „Die wahre SPD“. Unser Vorsitzender Jan Scholte-Reh findet das bedenklich – unterstellt die Bezeichnung doch, es gäbe eine falsche SPD. Wir müssen über Themen streiten, nicht darüber, wer jetzt guter oder schlechter – wahrer oder falscher – Sozialdemokrat ist, findet er. Dieses Geplänkel bringt niemanden weiter. In Hünxe haben wir schon immer gezeigt: wir hören zu und wir packen an! Aber lest selbst.
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Unsere Partei steht bei 12 Prozent in den Umfragen. Ihr Zustand ist desaströs. Die Menschen trauen der Sozialdemokratie nicht zu, die großen gesellschaftlichen Fragen zu lösen. Innerhalb der Partei rumort es; die ehrenamtliche Basis ist vielerorts demotiviert und frustriert. Wie es auf Bundesebene weiter geht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach erst im Dezember geklärt. Zwar gibt’s jetzt ein Vorsitzenden-Trio in Berlin, doch für viele bleibt es ein personelles und programmatisches Vakuum. Und die Partei wartet. Wartet. Wartet. Es spricht vieles dafür, sich die Zeit zunehmen, um alle Mitglieder einzubinden, offene Fragen endlich zu klären und einen gemeinsamen Weg zu finden. Doch das Leben (und natürlich auch die Politik) verabscheut das Vakuum. Es ist ein widernatürlicher Zustand, der sich von selbst füllt. Im Zweifel mit sich im Kreise drehender Selbstbeschäftigung. Und ausgerechnet jetzt firmiert sich eine Initiative altgedienter (und ja, auch verdienter) Politiker als „die wahre SPD“.
Wo ist das Problem? Mir geht’s gar nicht so sehr um die Positionen der „wahren SPD“. Inhaltlich können wir (und müssen sogar) vortrefflich streiten, wie sozialdemokratische Politik im 21. Jahrhundert aussehen soll. Da kein Mensch mehr weiß, wofür die SPD im Jahre 2019 steht, sollten wir das auf jeden Fall klären, wenn wir den Wählerinnen und Wählern noch irgendein Angebot machen wollen, das sich von den anderen Parteien abhebt. Gerade da könnte die Sozialdemokratie sogar eine wahrhaftige Renaissance erleben, denn große Fragen und Herausforderungen gibt es genügend, die gestaltet werden wollen: Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, demografische Entwicklung sowie die verblassenden Steuerungsmöglichkeiten nationalstaatlich-klassischer Politik gegenüber diesen „Baustellen“ … Es wäre die Aufgabe einer Sozialdemokratie, diese Megatrends so zu gestalten, dass sie Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt rückt und doch pragmatisch, sozialverträglich und nachhaltig handelt. Hier kann man übrigens viel von der Kommunalpolitik lernen, die sich immer mit dem Möglichen im kleinen Rahmen beschäftigen muss und dabei im engsten Austausch mit Bürgern und Vereinen steht. Gerade in Hünxe gelingt uns dies gut: Wir hören zu, nehmen Sorgen ernst und erklären Politik. Kümmern und anpacken – das wollen die Leute sehen. Dabei dürfen wir unseren Kompass jedoch nie verlieren. Politisches Handeln braucht unbeirrbare Grundwerten, denn sonst wären wir nicht Mitglied dieser Partei (hoffe ich). Eine Politik, die frei von Grundwerten und Ideen ist, wird beliebig und technokratisch und letztlich ersetzbar.
Ist dann der Rest die „falsche SPD“?!
Wenn sich aber jetzt eine Gruppe innerhalb der Partei zur „wahren SPD“ erklärt, dann begeben wir uns mit großen Schritten in eine Spirale, die am Ende vieles kaputt machen wird. Denn was ist denn dann mit den Parteimitgliedern, die nicht die gleichen Vorstellungen wie die „wahre SPD“ haben und die sich einen anderen Kurs für unsere Partei wünschen? Sind das dann keine Sozialdemokraten mehr? Wird dann dieser – sicherlich nicht kleine – Teil der Partei ausgeklammert? Gehören die dann zur „falschen SPD“?
Nein, zweifellos sollte man das nicht zu wörtlich nehmen. Letztlich ist es ja nur ein Titel, eine Namensgebung. Ich unterstelle sogar tatsächlich, dass diese Art Ausgrenzung so nicht in der Absicht der Urheber lag. Aber eine solche Sprache und Etikettierung grenzt aus, polarisiert, ja spaltet innerhalb der Partei. Gerade von erfahrenen Politikern erwarte ich mehr Voraussicht.
Dazu muss ich sagen, dass mir dieses Flügeldenken innerhalb der SPD immer gegen den Strich ging. Ich selbst sehe mich weder als Seeheimer noch als Teil der SPD-Linke. Das hat mich bereits bei den Jusos fürchterlich genervt, wenn mehr Zeit darauf verschwendet wird, übereinander zu reden, statt miteinander Politik zu machen. Meine Überzeugungen sind geprägt von meinem Leben und meinen Erfahrungen; ich habe teils konservative wie progressive Ansichten und ansonsten sehe ich mich als geerdeter Sozialdemokrat.
Diskussion über Ziel und Weg, ja bitte – aber dann gehen wir gemeinsam los!
Bitte also, liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns gerne diskutieren, wohin wir wollen und wie wir den Weg dorthin organisieren wollen. Es ist ja nun leider noch sehr viel Zeit bis Dezember. Das kann in jedem Fall eine Chance sein. Lasst uns streiten; aber wir sollten nicht damit beginnen, uns gegenseitig als die „wahre“ oder „falsche SPD“ zu bezeichnen. Wenn wir damit erstmal anfangen, ja dann, weiß es ich es auch nicht mehr …