Bedingungsloses Grundeinkommen: Blanko-Schecks für Faule?
„300.000 Stellen werden allein in Nordrhein-Westfalen bei den sogenannten ‚Berufen auf der Straße‘ (Bus-, LKW-, Taxifahrer) in den kommenden Jahrzehnten wegfallen“, eröffnet Jan Scholte-Reh (SPD-Vorsitzender in Hünxe) den 2. Roten Stammtisch zum kontrovers diskutierten bedingungslosen Grundeinkommen (BGE). Scholte-Reh, der beruflich unter anderem dem wirtschaftspolitischen Sprecher der SPD im Düsseldorfer Landtag zuarbeiten, zieht einen Vergleich zur Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Die digitale Revolution und der demografische Wandel stelle Gesellschaft und Wirtschaft vor vergleichbaren Herausforderungen. „Alte Gewissheiten überholen sich und neue Konzepte sind gefragt. Der heute lieb gewonnene Sozialstaat ist das hart erkämpfte Ergebnis tiefgreifender Umwälzungen über Generationen.“
Das BGE im Für und Wider
Als Gastreferenten hatten die Hünxer Genossen Dr. Peter Paic (Dozent an der Hochschule Ruhr West und stellv. Vorsitzender der SPD Kreis Wesel) eingeladen, mit dem sie gemeinsam über das Für und Wider diskutierten. Zunächst einmal, so Paic, gebe es nicht das eine BGE, sondern viele verschiedenen Modelle. „Im Grunde ist ein bedingungsloses Grundeinkommen eine existenzsichernde monetäre Leistung, die allen Bürgern gezahlt wird, ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten oder zu verlangen“, erklärt Paic. Die vielen bereits vorhandenen Transferleistungen seien mit viel Bürokratie verbunden. Aufwand und Kosten fielen mit einem BGE weg. So wäre eine Finanzierung eines BGE kein Problem. Dabei gehe es jedoch nicht um einen radikalen Einschnitt in die sozialen Sicherungssysteme. „Es gibt Varianten, in denen erst einmal nur Kinder und Senioren eine bedingungslose Grundsicherung erhalten“, so Paic weiter.
Doch das BGE sorgt für Zweifel. „Wenn jetzt jeder ohne was dafür zu tun, beispielsweise 1.000 Euro im Monat bekommt, werden viele gar nicht mehr arbeiten gehen. Das wäre ein Blankocheck für Faulheit“, befürchtet ein Teilnehmer. Andere halten dagegen: „Ein Grundeinkommen soll lediglich die Existenz sichern. Es geht hier nicht um Luxus. Wer mehr will, der muss sich was dazu verdienen.“ Aber niemand sei mehr gezwungen, für wenig Geld in unberechenbar befristeten Verhältnissen zu arbeiten. Mehr noch: Die Existenzangst werde genommen und jeder erhalte die Chance zur echten freiheitlichen Selbstbestimmung. „Es ist meine eigene Entscheidung, ob ich mich mit der Existenzsicherung zufrieden gebe, ob ich trotzdem voll arbeiten gehe oder ob meine Zeit mit einem sozialen Ehrenamt oder für die Pflege von Familienmitgliedern verwende“, so SPD-Frau Waltraud Schilling aus Drevenack. „Es wird immer schwarze Schafe geben, aber die meisten Menschen wollen etwas machen, wollen aktiv werden, wollen etwas erschaffen.“
Was die SPD jetzt tun muss
Einigkeit herrschte darin, dass eine Diskussion zu abstrakt und schwierig sei, wenn kein einheitliches, klares und durchgerechnetes Konzept vorliege. „Die SPD muss eine offene, gesellschaftliche Diskussion mit den Menschen, mit Sozial- und Wirtschaftsverbänden, der Wissenschaft über eine Vision für unsere Gesellschaft in 20 Jahren führen. Das Grundeinkommen könnte im Ergebnis ein Teil dieser Vision sein“, fasst Scholte-Reh zusammen. „Wir müssen gleichzeitig Lösungen für die Probleme der Gegenwart finden. Gerade das Bürgergeld, die Respektrente, die Kindergrundsicherung und ein höherer Mindestlohn sind die Antworten, die wir jetzt brauchen.“