Zum Ausgang des Mitgliedervotums: „Ein deutliches, aber auch ein ehrliches Ergebnis“
Zum Ausgang des SPD-Mitgliedervotums zur Fortsetzung der Großen Koalition kommentiert unser Vorsitzender Jan Scholte-Reh in einem persönlichen Beitrag:
„Es ist kein Geheimnis, dass ich persönlich aus guten Gründen gegen eine Große Koalition gestimmt habe. Die Mehrheit unserer Mitglieder hat sich für eine Fortsetzung der Großen Koalition entschieden. Dies gilt es nun zu akzeptieren! Es ist ein deutliches, aber auch ein ehrliches Ergebnis – anders als in anderen Parteien, bei denen über Koalitionsfragen nur eine kleine Minderheit auf Parteitagen und in Vorständen mit fast oder sogar einstimmigen Ergebnissen entscheidet. Das Mitgliedervotum ist gelebte Demokratie in unserer Partei und in der deutschen Parteienlandschaft einzigartig; trotz aller Kritiken von außen. Die SPD hat in den vergangenen Wochen über den richtigen Kurs hart und engagiert gerungen. Niemand hat sich die Entscheidung leicht gemacht, jeder wusste um seine Verantwortung für die Sozialdemokratie und unser Land.
Ja, aber!
Wichtig ist: Das „JA“ darf jetzt nicht in ein „Weiter so“ uminterpretiert werden. Denn gleichzeitig hat immerhin ein ganzes Drittel unserer Partei gegen die Große Koalition gestimmt. Dies muss realisiert und anerkennt werden. Vielmehr müssen also der Parteivorstand und die Bundestagsfraktion nun liefern; mehr noch, sie müssen dort Vertrauen aufbauen, wo die Glaubwürdigkeit der ganzen Partei – innerhalb und außerhalb – in den letzten Wochen und Monaten ins Wanken geriet.
Dies bedeutet zum einen, dass die guten Inhalte im Koalitionsvertrag konsequent umgesetzt werden. Selbst dann, wenn man den offenen Konflikt zu den Unionsparteien unter der mittlerweile geschwächten Kanzlerin Angela Merkel suchen muss. Es muss klar werden, wofür die SPD steht und wofür sie nicht steht.
Kompromisse gehören in einer Demokratie dazu. Sie sind wichtig und richtig. Doch unsere Grundprinzipien dürfen dabei nicht verhandelbar sein; auch nicht im alltäglichen Regierungsmodus des „business as usual“. Hier müssen wir mutig sein, unsere Erfolge und Leistungen klar benennen und unsere „roten Linien“ gegenüber der Union hart verteidigen. Auch das gehört zu einer staatspolitischen Verantwortung dazu. Es ist jetzt unser aller Aufgabe, gute Politik für diejenigen Menschen zu machen, die auf die SPD zählen und vertrauen (wollen).
Es darf kein Vakuum entstehen
2021 werden wir auf 16 Jahre Kanzlerschaft Angela Merkel zurückblicken – 12 Jahre davon in Großen Koalitionen. Doch diese sollten eigentlich (!) nur im Notfall gebildet werden. Denn Demokratie braucht immer Alternativen, immer mehr als nur eine Option. Andernfalls entsteht ein Vakuum und dieses füllt sich dann auf andere Weise von selbst. Es ist Aufgabe der beiden Volksparteien einander die wählbare, demokratische Alternative zu sein und die linken und rechten Ränder der Gesellschaft an die Mitte zu binden. Wenn sie diese Aufgabe aber nicht mehr erfüllen, entstehen Fliehkräfte. Sie überlassen das entstehende Vakuum dann anderen, die einfache Antworten auf hochkomplexe Fragen geben. Antworten, nach denen sich die Menschen in dieser Zeit der Krisen und Umwälzungen sehnen.
Die SPD muss nun alles daran setzen, dass sie sich in den nächsten Jahren nicht marginalisiert. Sie muss zeigen, dass sie gebraucht wird – und das nicht nur als selbstverstandenes „Korrektiv zur neoliberalen und konservativen Politik“, sondern als Gestalterin! Es ist von entscheidender Bedeutung, dass die SPD sich als die eigentliche, wählbare und demokratische Alternative zur Union präsentiert. Ansonsten werden andere dieses Vakuum füllen. Es gibt keine Ewigkeitsgarantie für das Fortbestehen von Parteien, egal wie lange sie bereits existieren und wie viele Mitglieder sie haben. Es gibt dafür leider zu viele Beispiele sozialdemokratischer Parteien in Europa. Dies kann in einer Regierung trotz der Zwänge eines Koalitionsvertrags durchaus funktionieren. Es hängt aber letztlich von uns ab.
„Erneuerung“ mit Leben füllen
Deswegen darf die Erneuerung der SPD kein bloßes Mantra sein, sondern muss mit Leben gefüllt werden. Wir müssen uns neu aufstellen, so wie es die SPD in 155 Jahren immer wieder in bestimmten Phasen unserer Geschichte tat, nämlich programmatisch, strukturell und personell.
Vor allem aber programmatisch und sprachlich: Die SPD muss Antworten und Lösungen auf die großen Fragen und Megatrends (Globalisierung, Digitalisierung der Lebenswelten, Robotik, Migration, wachsende Ungleichheit in unserer Gesellschaft, Klimawandel, demografischer Wandel etc.) finden. Dabei kann es nicht nur darum gehen, Reparatur zu betreiben und Stellschrauben zu drehen, sondern es müssen grundsätzliche Lösungen für eine sich verändernde (welt-)gesellschaftliche Umwelt gefunden werden. Und ihr muss die schmale Gratwanderung gelingen, hochkomplexe Antworten auf hochkomplexe Fragestellungen in verständlicher und begeisternder Sprache den Menschen zu vermitteln und deren Vertrauen für eine gute Zukunft zurückzugewinnen. Dabei dürfen wir in unseren Wahlprogrammen nicht bereits den notwendigen Kompromiss einer möglichen Großen Koalition vorweg nehmen. Ehrgeiz, Mut und Selbstvertrauen stehen der SPD dabei gut zu Gesicht.
Und wir in Hünxe?
Die Hünxer SPD wird sich aktiv in diesen Erneuerungsprozess einmischen und ihren Beitrag leisten. Dies gilt auch für unsere politische Arbeit vor Ort in Hünxe. Wir sind mit neuen Formaten, wie z.B. die Marktplatzgespräche, Rotes Sofa, Online-Umfragen, Zukunftscafés, WhatsApp-Info, bereits auf einem guten Weg, den wir – mit Blick auf die Kommunalwahlen 2020 – noch weiter gehen werden.
Zum Schluss ein Appell: Ich wünsche mir, dass sich jeder in diese Entwicklungen einbringt – neue wie alte Mitglieder. In den letzten zwei Jahren fanden einige zu uns in den Ortsverein Hünxe und in unsere Partei. Wir brauchen Euch, Eure Ideen und Eure Energien, damit dies gelingen kann.“